Was bedeutet Achtsamkeit?

„Achtsamkeit bedeutet: Auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein, bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen.“
(Jon Kabat-Zinn)

Achtsamkeit ist zunächst die jedem Menschen innewohnende Fähigkeit, die Dinge so wahrzunehmen, wie sie in dem Augenblick sind. Die Sinne sind wach, im Hier und Jetzt und erfahren die Wirklichkeit des Moments: die Umgebung, Geräusche, vielleicht Gerüche, wie es sich körperlich anfühlt, da zu sein, und welche Gedanken und Gefühle gerade auftauchen.

Erweitert wird das Feld der Wahrnehmung im Kontakt mit anderen Menschen. Welche Gedanken, Gefühle tauchen da blitzschnell auf, hervorgerufen vielleicht durch das millimeterweise Verziehen des Mundwinkels beim Gegenüber?

Die eigenen Gedanken, Gefühle und Reaktionen auf Ereignisse und Wahrnehmungen, positive ebenso wie neutrale oder negative, erfahren dabei eine offen interessierte Betrachtung. Ohne eine automatische Bewertung zu fällen, ohne von Emotionen überflutet zu werden, gewinnen Augenblicke und Eindrücke für uns an Klarheit und Präsenz. Das bietet die Chance, mit sich selbst und mit anderen Menschen zugleich freundlich gelassen und klar in Kontakt zu sein – auch in schwierigen Situationen und Konflikten.

Oft vergessen im stressigen Alltag

Die Fähigkeit sich selbst und den Moment voller Aufmerksamkeit und Ruhe wahrzunehmen und anzunehmen was gerade ist, ist vielen Menschen im Laufe des Lebens verlorengegangen. Allzu oft nimmt der Stress der alltäglichen Geschäftigkeit überhand. Zwischen Aufgaben, Terminen, ziellosem Aktivismus und den tausend kleinen Angelegenheiten, die noch erledigt werden müssen, nehmen wir uns selten Zeit für die Dinge, denen wir eine echte Bedeutung beimessen und die uns am wichtigsten sind.

Inmitten von Verpflichtungen und Leistungsdruck ist der gesamte Tagesablauf in Produktivitätsblöcke unterteilt, auch in unserer Freizeit – und die Gedanken sind oftmals schon beim nächsten oder übernächsten Problem. Automatisch werden die Handgriffe des täglichen Lebens getätigt, ohne dass Körper und Geist in Einklang arbeiten. Anstatt in der Gegenwart präsent zu sein, beschäftigt sich der Geist mit Erinnerungen, Vorstellungen, Fragen und Zukunftsaussichten. Die Gedanken kreisen um Vergangenes oder Kommendes, um Mögliches und Unmögliches, kurzum: mentale Konstrukte statt realer Momente.

Bis zu einem gewissen Grad ist es notwendig und hilfreich, die Vergangenheit geistig parat zu haben, um daraus Erkenntnisse für die Gegenwart zu ziehen, und die Wahrscheinlichkeiten der Zukunft abzuwägen, um sich angemessen darauf vorbereiten zu können. Studien haben jedoch gezeigt, dass die gedankliche Abwesenheit, das Handeln im Autopiloten, bei den meisten Menschen etwa die Hälfte der Zeit einnimmt – und dass dies ein beachtlicher Faktor für Unzufriedenheit und Sorgen ist.

Auf lange Sicht schadet die Abwesenheit einer achtsamen Wahrnehmung sowohl der körperlichen Gesundheit als auch einer positiven Grundhaltung, die eine bessere Verarbeitung negativer Erlebnisse erlaubt und die Empfänglichkeit für Positives stärkt. So geraten nicht nur die besonderen Momente, die sich jeden Tag wie von selbst ergeben, sondern auch grundsätzliche Bedürfnisse wie Erholung, Gesundheit und Glück in den Hintergrund.

Die Gelassenheit wiedergewinnen

Um Zufriedenheit und Wohlbefinden Raum zu geben, Tiefe zu ermöglichen, bedarf es der Rückbesinnung auf unsere Fähigkeit achtsam und im Moment präsent zu sein, wieder mit uns selbst in Kontakt zu kommen. Diese Fähigkeit können wir kultivieren und stärken.

Innezuhalten und die Wahrnehmung auf die Gegenwart zu fokussieren, ohne dabei ins Grübeln zu geraten, automatisch zu Bewerten, impulsiv zu reagieren, ist der erste Schritt. Er ermöglicht zunächst das Erkennen, die Akzeptanz, dessen, was geschieht. So entwickelt sich in weiteren Schritten eine zunehmende Stärke und die Fähigkeit auch mit schwierigen Situationen im Leben gelassener umzugehen. Resilienz und Entscheidungsfähigkeit und Handlungssicherheit werden gestärkt und belastende Zeiten so hilfreicher verarbeitet.

Es geht also nicht darum, alle Probleme aus der Welt zu schaffen und fortan fern jeder Ärgernisse zu leben.

„Du kannst die Wellen nicht aufhalten, aber du kannst lernen auf ihnen zu reiten.“
(Jon Kabat-Zinn)

Akzeptanz und Dankbarkeit

Dankbarkeit gegenüber der Gegenwart und Akzeptanz aller Dinge, die uns widerfahren – das klingt erst einmal schwierig bis unmöglich. Dankbarkeit dafür, dass der Bus vor der Nase wegfährt? Akzeptanz, wenn es regnet und der Schirm zuhause liegt, der Handy-Akku den Geist aufgibt, eine Unmenge an To-Do´s wartet und der Kaffee auf dem weißen T-Shirt gelandet ist? In solchen Situationen scheint es selbstverständlich, dass Ärger, Frustration und schlechte Laune aufkommen. Und dann erst die großen Krisen, die nahezu jedem Menschen im Laufe des Lebens einmal begegnen: eine schwere Krankheit, ein schmerzhafter Verlust, ein Unfall, eine Trennung.

Die Kunst in diesen schwierigen Lebenssituationen ist es, nicht den Kopf zu verlieren – bzw. sich nicht im Kopf zu verlieren. Vielmehr ist es hilfreich, sich bewusst und akzeptierend den Dingen – und sich selbst inmitten des Chaos – zuzuwenden. Akzeptanz bedeutet nicht, die Situation toll zu finden oder durch die rosarote Brille zu sehen, sondern einfach nur, klar zu sehen, „ja, so ist es gerade“. Dadurch werden selbstbestimmte nächste Schritte möglich: Erkennen, ob und wie sich die Situation ändern lässt, oder wie mit unveränderlichen Situationen umgehen können. Die Erkenntnisse in Handeln umsetzen. Die Annahme dessen, was ist, und was wir empfinden, ist der Schlüssel zu einem friedlicheren, ganzheitlicheren Leben. In sich selbst die Ressourcen zu entdecken, die einen sicher und unbeschadet durch schwierige Zeiten bringen, ist eine Gabe, über die jeder verfügt, und die mit bewusstem Training geschult und eingesetzt werden kann.